„There’s a whole new generation / With a new explanation“

„San Francisco“ von Scott McKenzie (1967)

 

 

ich bin zwölf.

es gibt eine alleinregierung unter kanzler klaus. kreisky ist seit einem jahr spö-vorsitzender. in österreich gibt es noch keine spur von einem 68er-feeling. nur die „uniferkelei“ sorgt für einige aufregung. und der hugo portisch erklärt in schwarz/weiss warum mitten im august der frühling vorbei ist.

mich interessiert aber eigentlich nur fussball. rapid ist wieder meister geworden und „meine“ austria hat wieder nichts gewonnen.

 

das sollte sich bald ändern.

alles.

 

aber schauen wir erst einmal, was 1968 so alles los war (ohne anspruch auf vollständigkeit).

mama von heintje war die meistverkaufte single im deutschen sprachraum

oswald kolle und seine filme „das wunder der liebe I und II“ klärten die nation auf

eine DMark war ös 6,50, ein $ ös 26,- und ein englisches pfund ös 62,14 wert

13. jänner – johnny cash gibt ein legendäres konzert in folsom state prison

märz – in polen kommt es zu den unter märz-unruhen bekannten studentendemonstrationen

16. märz – my lai massaker in vietnam

17./18. märz – der goldstandard wird aufgehoben

april – die rockband deep purple wird gegründ

2. april – 2001- odysee im weltraum von kubrick hat premiere

4. april – attentat auf martin luther king

29. april – uraufführung von hair am brodway

2. mai – in paris kommt es zur „nacht der barrikaden“. sie steht für etwas, das viele nicht mögen: das unvorhergesehene – eine verbrüderung von studenten und arbeitern.

2. juni – robert f. kennedy wird ermordet

7. juni – die bereits erwähnten uniferkeleien finden statt

21. august – die truppen des warschauer paktes marschieren in der tschechoslowakei ein und beenden den prager fühling.

oktober – olympische spiele in mexico – bob beamon springt einen fabel-weltrekord – us-athleten müssen olympisches dorf wegen black power-symbol verlassen

20. oktober – jacky kennedy heiratet onassis

5. november – nixon wird zum 37. präsideten der USA gewählt

in österreich herrschte ein katholisch prüder moral-mief.

ehebrecher machten sich strafbar

homosexuelle sowieso

hotels riskierten eine anzeige wegen „kuppelei“, wenn sie unverheirateten paaren ein zimmer vermieteten

uneheliche kinder wurden diskriminiert

auf abtreibung drohten 5 jahre strafen – viele frauen starben deshalb auf küchentischen nach primitiven abtreibungsversuchen durch „engelmacher*innen“

ehefrauen durften ohne einwilligung des ehemannes nicht arbeiten oder den wohnsitz wechseln

in einigen bundesländern waren bikinis verboten

„autofahrer unterwegs“ war die beliebteste radiosendung

der ORF spielte keinen rock´n´roll

das fernsehprogramm endete um 22.00 uhr. danach wurde die bundeshymne gespielt

an den universitäten lehrten alte nazis „unter den talaren / der mief von 1000 jahren“
aber dann!

 

1969 und 1970 gewann die wiener austria den österreichischen fussballmeistertitel.

und wie zu diesen zeiten noch üblich, ist in österreich alles ein bissl später – so 2 bis 3 jahre – angekommen.

die mode aus italien und london und die revolution von überall her.

und zu glauben, die 68er allein auf 1968 zu reduzieren ist etwas zu kurz gegriffen.
woodstock war 69, easy rider war 69, die mondlandung war 69.

neben fussball erwachte mein interesse an musik und dem „anderen geschlecht“.

und dank kreisky und „seinem team“ auch an politik.

bei der nationalratswahl im märz 1970 errang die spö unter kreisky erstmals eine mehrheit. sommer 1970 war ich erstmals in london. in einem „working class“-club trank ich erstmals englisches bier und hörte lola. bier – egal ob englisches oder sonstwelches – mag ich noch immer nicht und lola ist immer noch grossartig.

im praterkino sah ich easy rider und glaubte zu wissen, wohin die reise gehen sollte.

1971 liess ich mir die haare wachsen, hatte „endlich“ eine freundin mit allem drum und dran, ich machte erste erfahrungen mit schwarzen afghanen und kreisky erreichte die absolute mehrheit.

1972 das erste mal zu einem richtigen rockkonzert in der stadthalle – the who

danach, ebenfalls erstmalig in meinem leben, in der – 1971 eröffneten – camera.

und ich war das erste mal mit freunden „im urlaub“. in lignano.

ich war „erwachsen“.

 

der „fetzenjud“ in der klosterneuburger strasse im 20. wiener gemeindebezirk übergab sein bekleidungsgeschäft, in dem ich den grossteil meiner kindheit mit kleidung versorgt wurde, seinem sohn.

ab diesem zeitpunkt hiess das kleine geschäft „lord rieger“ und für mich gab es kein deutlicheres zeichen für die veränderungen in der gesellschaft als diesen wechsel. ein stück carnaby-street befand sich nun sozusagen tür an tür.

wo vorher gutbürgerliche bekleidung verkauft wurde, gab es von nun an lammfelljacken, patik-t-shirts, mini-röcke und glockenhosen. und lederjacken.

beim betreten des geschäftes – heut tät man das shop nennen – strömte ein neuer, alles andere überdeckender geruch in die nase – patschuli. fernöstlich, mystisch und friedensstiftend. angeblich. dass es kaum einen duft gibt, mit dem der geruch von konsumierten hanfprodukten so gut zu überdecken war, hab ich erst etwas später registriert.

vorerst war es eine dieser lederjacken die meine begehrlichkeiten ganz besonders geweckt hat. allein, meine finanziellen resourcen waren unzureichend.

zweitausendvierhundertschilling gingen nach einigen entbehrungen dann doch über die budel. jetzt war ich wirklich ein 68er.

und mit mir wien – oder umgekehrt.

 

die idee der 68er und der folgejahre war eine generelle kritik an jeder form von autorität und ablehnung jeglicher fremdbestimmung. wir wollten nicht so werden wie unsere altvorderen – geboren werden, erwachsen werden, heiraten, kinder und enkel kriegen, alt werden, sterben.

traue keinem über 30 war das motto – und dass ich je so alt werde, hielt ich für äusserst unwahrscheinlich.

 

die annahme in jungen jahren den heldentod zu sterben war aber ebenso falsch wie die annahme, dass die gesellschaft ganz automatisch immer offener und fortschrittlicher wird.

jetzt bin ich zwar so gar nicht bös drüber, mehr als doppelt so alt zu sein, wie die ominösen 30 und wünsch ma noch ein paar jährchen, bin aber andererseits enttäuscht über die reaktionäre, autoritätsgläubige rückkehr des spiessbürgertums. statt grenzen niederzureissen, werden schrebergartenzäune hochgezogen. statt love and peace dominieren hass und hetze gegenüber anders aussehenden menschen. man schimpft wieder öffentlich auf schwule und neger ohne konsequenzen befürchten zu müssen.

 

der oberreiter und zuchtmeister der nation, nun innenminister, sagt:

Das Projekt der 68er ist gescheitert. Wir erleben jetzt, nicht nur in Österreich, eine Gegenbewegung. Und das ist auch gut so. Für mich kommt es zu einer Rückkehr zur Normalität.

Die 68er versuchten im Namen des Fortschritts zerstörerisch zu wirken. Wenn ich nur an das Aushöhlen der staatlichen Identität oder der Identität des Familienverbundes denke. Diese Regierung steht für einen offensiven Gegenentwurf. Die Thesen der 68er haben sich als falsch herausgestellt. Das Bedürfnis nach Orientierung, Geborgenheit und Heimat wird von uns wieder in ein positives Licht gerückt.

frauen zurück an den herd und kinder kriegen, hackeln bis zum umfallen, hände falten und goschen halten. und dann möglichst ohne gross aufzufallen oder kosten zu verursachen das zeitliche segnen.

ein neues altes kleinbürgerliches biedermeier greift um sich.

vorwärts in die vergangenheit – am besten zurück bis 1788.

vielleicht hatte stefan weber ja doch recht, als er sagte:

Leider stimmt der damalige Spruch: »Zürich brennt, Wien pennt«. Die Wiener haben noch in den 1970ern wie Mittelschüler ausgesehen, weil sie sich entweder nicht getraut haben, anders zu sein oder weil es ihnen zu gefährlich war, von den Eltern eine Fotz’n auszufassen. Wenn man mit langen Haaren herumrannte, konnte es sein, dass man auf offener Straße eine Fotz’n bekam. Da hat’s geheißen: »Schau, a Madl mit ana Hosn. Heast Madl, kannst ja ka Hosn anziehen« und schon sind die Watschen geflogen. In Österreich war die 68er-Hippiekultur eine Modeerscheinung.

 

oder war es oscar wilde der recht hatte, als er meinte:

Die Revolution ist die erfolgreiche Anstrengung, eine schlechte Regierung loszuwerden und eine schlechtere zu errichten.

 

but …

die gute nachricht: you’re never too old to rock ’n‘ roll

nix butterkeks und sanostol – noch nicht!

 

in diesem sinne:

bleibt´s gsund und passt´s auf eich auf!

und losst´s eich nix gfoin!

 

links zum thema:

https://www.hessenschau.de/gesellschaft/68er/68er-ausstellungen-von-klassen-kaempfen-und-alt-revoluzzern-am-taxistand,68er-ausstellungen-und-co-100.html

http://www.taz.de/!5501321/

https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/mehr_kultur/965236_Mode-in-1968-Der-Hauptantrieb-war-Protest.html

https://sozialgeschichte-online.org/dossiers/1968-2/

https://derstandard.at/2000079939785/Soziologe-Armin-Nassehi-Heute-kommt-der-Wind-eher-von-rechts?ref=chromepush&dst

https://mobil.derstandard.at/2000080015931/1968-War-da-was

https://mobil.derstandard.at/2000082665209/1968Es-war-dann-doch-ein-gutes-Jahr

https://www.sueddeutsche.de/leben/er-bewegung-elf-dinge-die-uns-die-er-bewegung-hinterlassen-hat-1.3530085

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