Mit Einverständnis der Autorin Patrizia Trolese veröffentlich ich heute ihre Recherche über die Identitären

patrizia.trolese@web.de

Martin Sellner & Co. – Rechtsextreme weltweit auf dem Weg in den Untergrund

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Im August waren „Identitäre“ aus ganz Westeuropa mit dem Schiff C-Star auf dem Mittelmeer unterwegs. Unter dem Motto „Defend Europe“ versuchten sie Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit vor der libyschen Küste zu stören, um die Überfahrt von Flüchtlingen nach Europa zu verhindern. Zur Crew gehörte das Who is who der europäischen Neo-Faschisten, u. a. Martin Sellner aus Österreich und Mario Müller aus Deutschland.

Zur gleichen Zeit, am 11. August 2017, demonstrierten Anhänger von Identity Evropa, ein US-Ableger der Identitären Bewegung, in der US-Staat Charlottesville gemeinsam mit Neonazis, Alt-Right-, Ku-Klux-Klan- und White-Supremacy-Anhängern gegen die Entfernung eines Reiterstandbildes des Konföderierten Robert E. Lee. Eine 32-jährige Menschenrechtsaktivistin wurde getötet, mindestens 19 Menschen verletzt. Richard Spencer, Sprachrohr der Alt-Right, war einer der Scharfmacher auf der „Unite the right challange“.

In den Folge sperrten viele IT- und Finanz-Plattformen in den USA und in Europa offentsichtlich rechtsextreme Mitglieder. Junge Netzaktivisten aus der Szene wenden sich seither verstärkt dem Dark Web und der Kryptowährung Bitcoin zu. Nahezu anonym, sicher und dezentralisiert: In diesen Systemen machen Mario MüllerRichard Spencer und Andrew Anglin, Betreiber des US-Hetzblattes „The daily Stormer“, seither sogar Profite. Nur der „Troll-Master“ der europäischen Identitären, Martin Sellner, nicht. Aber er findet auf seinem Weg in den Untergrund die Liebe seines Lebens.

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Richard Spencer hatte 2010 das Onlinemagazin Alternative Right (seit 2016 Altright) gegründet und damit den Begriff Alt-Right geprägt. Seit 2011 ist er Präsident des National Policy Institute in Washington, D.C., das das Selbstbewusstsein der weißen US-Amerikaner stärken, ihre biologische und kulturelle Kontinuität sowie ihre Bürgerrechte sichern soll. Die weißen US-Amerikaner würden in ihrem Land enteignet und verdrängt, künftig eine Minderheit sein. Das europäische Erbe laufe Gefahr, verloren zu gehen. Spencer will ein „arisches“ Land, die USA von Afroamerikanern, Latinos und Juden „friedlich ethnisch säubern“. Lateinamerika- und afrikastämmige Menschen hätten einen geringeren Intelligenzquotienten als Weiße, ferner eine genetische Disposition zur Kriminalität.

Klingt rassistisch, aber theoretisch in sich stimmend. Spencer spricht ohne verbale Ausfälle. Die Meinungsfreiheit ist relativ unbelastet in den USA. Im November 2016 traf sich daher von der Öffentlichkeit beobachtet die „Alt Right“-Bewegung in Spencers National Policy Institute, um Trumps Sieg zu feiern. Spencer sprach von der „Überlegenheit der weißen Rasse“, würdigte Juden herab und attackierte die Medien unter der Verwendung des Begriffs „Lügenpresse“. Spencer schloss seine Rede mit dem Ausruf „Heil Trump! Heil unserem Volk! Sieg Heil!“ (im Original: „Hail Trump, Hail our people, Hail victory“). Daraufhin rissen viele Zuschauer den rechten Arm zum Hitlergruß in die Höhe.

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Als es im August in Charlottesvielle vor laufender Kamera eine Tote und Verletzte gab, reagierte die Wirtschaft im Licht der Weltöffentlichkeit. Der mutmaßliche Täter, James Alex Fields, hatte sich im Umfeld der rechtsradikalen Vanguard America bewegt und ein Schild mit deren Logo getragen. Der Gründer der Gruppe, Kevin Alfred Strom, ein notorischer Neo-Nazi, Holocaust Leugner und White-Supremacist, hatte den Aufmarsch organisiert. Sein Hauptredner im Kampf gegen die Politische Korrektheit, Richard Spencer, wurde im Anschluß des Aufmarsches von Diensten wie Paypal gebannt; seine Konten wurden eingefroren. Doch bereits vor den Ereignissen in Charlottesville hatte Spencer den Bitcoin als die Währung der Rechten deklariert.

Dieser basiert wie alle Kryptowährungen auf einer „Blockchain“-Technologie, in der alle Transaktionen gespeichert werden. Dieses „Kassenbuch“ liegt nicht auf einem zentralen Server, sondern jeder Kryptonutzer besitzt eine aktuelle Kopie auf seinem Computer. Da der Mittler solcher Devisengeschäfte, eine Bank, wegfällt, kann die Transaktion anonym erfolgen. „Geld ohne Staat“ ist die Bitcoin-Vision. Anleger können per Kreditkarte oder PayPal zum einen bei einem „CFD-Broker“ Kryptowährungen als virtuelle „Wertpapiere“ kaufen. Zum anderen können sie Überweisungen tätigen, indem sie Bitcoins „physisch“ als „digitale Münze“ bzw. Datei kaufen – vorrausgesetzt sie besitzen ein „Wallet“, ein Girokonto. Sie können Bitcoin auf „Krypto-Marktplätze“ wie bitcoin.de handeln und auf „Krypto-Börsen“ wie CEX.IO in US-Dollar oder Euro tauschen.

Richard Spencer selbst konnte vom Bitcoin-Hype nicht so profitieren, wie er wollte. Zu schwer wiegt der Bann von Diensten wie Paypal oder die Auflösung seiner Konten. Spencer sagte der „Washington Post“: „Wir hatten enorme Probleme, weil wir platt gemacht wurden.“ Und: Er hätte gerne „mehr Bitcoin gekauft“.

Andrew Anglin, Ein Mitstreiter in Sachen „arisches Land“ und Bitcoin hatte mehr Glück – im Darknet.

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Der 33-jährige College-Abbrecher und Neonazi Andrew Anglin ist Gründer und Herausgeber der US-amerikanischen Neonazi-Webseite „The Daily Stormer“, die namentlich an das Propagandamagazin „Der Stürmer“ im Dritten Reich angelehnt ist. Anglins Worte sind nicht so geschliffen wie die von Spencer. Die Meinungsfreiheit in den Vereinigten Staaten erlaubt auch das. Das Southern Poverty Law Center (SLPC) bezeichnet „The Daily Stormer“ als die „Top-Website zur Verbreitung von Hass“ in den USA. Anfang Januar verfügte Anglin insgesamt über knapp 38 BTC, was einem Wert von über 550.000 US-Dollar entspricht.

Als Andrew Anglin von einem Immobilienstreit hörte, in dem die Mutter von Richard Spencer, Sherry Spencer, verwickelt war und davon, dass die Gegnerin, die Maklerin Tanya Gersh in Whitefish, Montana, eine Jüdin ist, begann er den Troll-Job seines Lebens. Zwischen Dezember 2016 and Januar 2017 versetzte er die jüdischen Bewohnter von Whitefish mit einer Belästigungskampagne in Panik – mit Tanya Gersh, ihrem Mann Judah und ihrem Sohn im Fokus. Der Polizei-Chef der Stadt sprach von “domestic terrorism.”

“I actually do want to gas kikes.” Anglin’s mobilisierte mit seiner website eine Online-Horde von Rassisten und Faschisten. Über Wochen bombardierten diese ihre jüdischen Zielpersonen mit Hunderten antismetischer Anrufe und Nachrichten, nachdem „The Daily Stormer“ Kontaktinformationen und andere persönliche Details veröffentlicht hatte. Anglin postete Fotos von jüdischen Einwohnern mit gelben Sternen. Ein Foto von Gershes’ 12-jährigen Sohn zeigt diesen an den Toren von Auschwitz. Die “Stormer Troll Army” klopfte an die Türen der Familie in der Nähe von Columbus. Anglins Vater, Greg, ebenfalls ein Neonazi, besitzt und vermietet in der Gegend Gebäude. Zahlreiche Opfer bangten um ihr Leben. „So etwas habe ich in meiner 20-jährigen Praxis nicht erlebt“, sagte David Dinielli, Gershs Anwalt und stellvertretender Justiz-Direktor des Southern Poverty Law Center (SPLC).

Die Whitefish-Attacke zementierte Andrew Anglins Reputation als „trollmaster of the alt-right“. Mitte August bezeichnete Anglin auf „The Daily Stomer“ das Opfer in Charlottesville als «fette Schlampe», die es nicht anders verdient hätte. Bei Martin Sellner klingt das nach der Tötung von Mia durch einen Afghanen in Deutschland auf Youtube so:

„Es herrscht Krieg gegen uns. Es gibt keine Uniformen, keine Fahnen, keine Marschbefehle, aber es gibt Opfer. (…)

Die Ermordete hatte eine Beziehung mit diesem 15-jährigen Afghanen, warum auch immer. Warum Frauen heute so etwas noch tun, obwohl sie wissen, dass das lebensgefährlich ist, warum Eltern so etwas zulassen, (…) das verstehe ich nicht. Ich kann es mir ehrlich gesagt nur aus einem völlig verdrehten und abartigen Grund erklären wie viele Frauen bestätigt haben, nämlich Selbsthass und Masochismus, das (…) Schuldgefühl, wenn man die Antanz-Versuche, Flirtversuche von Nicht-Europäern ablehnt, dann auch wirklich als Rassisten beschimpft wird. (…)“

Mittlerweile hat Youtube Martin Sellners Video gelöscht. Im neurechten Medium politikversagen.net ist es noch zu finden. Der zynische Life-Sexismus vor den Augen der Weltöffentlichkeit, der das Andenken zweier getöteter Frauen mit Symbol-Charakter verletzt, rief die Reaktion der Wirtschaft hervor: Sellner wurde mit Facebook-, Twitter- und auf Youtube-Sperren bestraft. In den USA gab die Web-Hosting-Firma von Daily-Stormer, Go Daddy, Andrew Anglin 24 Stunden Zeit, einen neuen Host zu suchen. Als Anglin mit seiner Internetadresse zu Google umziehen wollte, stieß er auch dort auf Ablehnung. Am gleichen Tag sperrte Google auch den YouTube-Kanal und Facebook den Account des Daily Stormer. Mitte August war The Daily Stormer nicht mehr erreichbar.

Über Twitter wurde die Adresse einer im „Tor“-Netzwerk erreichbare Alternativ-Domain verbreitet. Und tatsächlich war die Neonazi-Webseite im Tor-Browser problemlos erreichbar. (Quelle: watson.ch) Im hidden Web gibt es alles, was illegal ist: Drogen, Waffen, Kinderpornografie. Google & Co. sind nicht allwissend. Wer etwas im Web vor den Suchmaschinen verbergen möchte, kann das leicht tun. Das Darknet ist ein Netzwerk, dessen Teilnehmer ihre Verbindungen untereinander manuell herstellen. Dieses Konzept steht im Gegensatz zu konventionellen Peer-to-Peer-Netzwerken wie Napster, eDonkey oder BitTorrent, bei denen zentrale Server für den Austausch von MP3-Dateien, Videos oder Bilder sorgen.

Die Idee hinter den Online-Darknets ähnelt dem Konzept der Geheimbünde und verborgenen Logen der realen Welt. Um neue Personen ins Darknet zu integrieren, müssen diese von teilweise priveligierten Eingeweihten eingeladen werden. Nur wer mindestens einem Logenmitglied persönlich bekannt ist, wird zu einem Treffen vorgelassen. Diese finden an mehr oder weniger öffentlich zugänglichen Orten statt, aber nur Eingeweihte wissen, was sich wann und wo abspielt. Wer sich in Chatgruppen wie „Deutschland im Deep Web“ (DiDW) herumtreibt, kann an Adressen kommen, die Eingang ermöglichen. Hier versuchte der Rechtsterrorist von München David S., der neun Menschen tötete, über ein Jahr lang, an seine Lieblingswaffe, eine Glock 17, zu kommen. Mittlerweile prangt auf der Domain ein BKA-Banner mit dem Satz „Die Plattform und der kriminelle Inhalt wurden beschlagnahmt.“

Der Betreiber des US-Darknet-Marktplatz „Silk Road“, Ross Ulbricht, wurde 2013 wegen Rauschgifthandel, Geldwäsche und Bildung einer kriminellen Vereinigung vom FBI zu lebenslanger Haft verurteilt. Technisch gesehen ist das Darknet lediglich ein verschlüsselter Bereich des Internets, der vor „Ausspähen“ schützt. Der Zugang funktioniert über das frei verfügbare Programm „Tor“. Das Tor-Netzwerk besteht aus Servern überall auf der Welt, mit denen die Identität des Nutzers verschleiert wird. VPN-Dienste wie CyberGhost Premium Plus sorgen dafür, dass keine IP-Adresse geloggt wird. Jeder Server kennt so nur seinen Vorgänger und seinen Nachfolger, aber nicht die gesamte Ende-zu-Ende-Verbindung. Dadurch wird die IP-Adresse des Nutzers getarnt. Es ist für Ermittler nicht mehr nachvollziehbar, wer mit wem in Verbindung tritt.

Im Sommer erhielt Anglin eine Spende von über 14,88 Bitcoin – ein Nazicode. Die Ziffern stehen für Buchstaben im Alphabet: 14 für die „Fourteen words“ des „Glaubenssatzes“ der weißen Nationalisten, 88 (HH) für Heil Hitler. Der Betrag war zum Zeitpunkt der Spende 60.000 Dollar wert, mittlerweile hat sich diese Zahl auf 235.000 Dollar erhöht. Der Analyst Bambenek schätzt, dass Anglin seit 2014 rund 250.000 US-Dollar in Bitcoin investiert hat. Macht 550.000 US-Dollar insgesamt. Coinbase, eine der größten Handelsplattformen für Kryptowährungen, löschte im August das Konto des „Daily Stormer“. Die Transaktionen laufen bei Anglin dennoch weiter, daran konnte auch die Coinbase-Sperre nichts ändern.

Sein Seelenverwandter Martin Sellner war weniger erfolgreich beim Bitcoin-Betteln als Andrew Anglin. Dafür hat Sellner einen Schlag bei Faschistinnen.

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Martin Sellner, Co-Leiter der „Identitären Bewegung Österreich“, war vor seiner Zeit bei den „Identitären“ im Umfeld des österreichischen neonazistischen Politclowns Gottfried Küssel aktiv. Sellner will die Neo-Rechten und -Nazis in Westeuropa und den USA verbinden – so wie bei der Mission der C-Star mit Aktivisten aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien. Für die rassistische Aktion sammelten die „Identitären“ über die rechte Crowdfunding Plattform WeSearchr, auf der auch der „Daily Stormer“ zur Unterstützung aufruft, über 200.000 US-Dollar.

Die Online-Bezahldienste Paypal und Apple Pay stoppten zu dieser Zeit Transaktionen von Akteuren der extremen Rechten und froren Konten ein. Ein neuer Versuch, „Defend Europe“ über die Crowdfunding-Plattform „Kickstarter“ zu finanzieren, scheiterte. Martin Sellner warb seit dem Sommer vermehrt um Bitcoin-Spenden. Bei ihm scheint die Krypto-Akquise hingegen schleppend zu laufen: Bei Sellner gingen zwischen Juli und Dezember 2017 0.16 BTC ein.

Nach „Defend Europe“ dürfte der Enthusiasmus patriotischer Geldgeber ins Stocken geraten sein. Schließlich sind die „Identitären“ nach Wochen mit nicht mehr als ein paar Foto- und Videoaufnahmen zurückzukommen. Stattdessen hatte es zehn vorübergehende Festnahmen an Bord des Schiffes im Hafen von Famagusta in Zypern gegeben. Ein Teil der Crew, 20 Tamilen ohne Einreiseerlaubnis in zypriotische Gewässer, sollen Geld bezahlt haben, um nach Italien zu kommen. Gegen den Kapitän bestehe der Verdacht des Menschenschmuggels. Auf Twitter wiesen die Identitären die Vorwürfe von sich: Die Besatzungsmitglieder seien im Rahmen eines „kostenpflichtigen Trainingseinsatzes“ an Bord des Schiffs gewesen. „Organisierte Kommandos der NGOs“ hätten die Crew davon überzeugt, Asylanträge in der Türkei zu stellen.

Auch für die angekündigte App „Patriot Peer“, die mit Gamification-Elementen Rechtsnationalisten und -extremisten weltweit vernetzen soll, wurde kräftig die Finanzierungs-Trommel gerührt. 20.000 Euro sind anscheinend in die Entwicklung der App geflossen. Seit der großspurigen Ankündigung vor einem Jahr folgten aber nur weitere Vertröstungen. Beworben wird die App auch von „The Daily Stormer“ im Darknet und Altright. „Kickstarter“ hat nun auch das Konto für die App gesperrt. Sollte „Patriot Peer“ irgendwann tatsächlich gelauncht werden, stehen die „Identitären“ vor den geschlossenen App-Stores. Dann bleibt nur noch das Darkent.

Martin Sellners Sperren auf Facebook, Twitter und auf Youtube versucht das neue „Arcadi“-Magazin zu kompensieren: das patriotische Pendant von jungen, liberalen Medien wie Vice und bento. Es geht um die US-amerikanische Alt-Right-Bewegung, die „Defend Europe“-Kampagne und faschistische Internetschönheiten wie Lauren Southern und Brittany Pettibone. Im Sport-Teil werben das Mode-Label „Greifvogel Wear“ und der Online-Shop „Sonnenkreuz“ – beide betrieben von szenebekannten Neonazis. (Endstation Rechts) Ausführlich wird das von Götz Kubitscheks Antaois-Verlag herausgegebene „schneidige“ Buch von Mario Müller gelobt. Auf dem AfD-nahen Magazin macht sich Sellner zumindest als Poster-Boy der rechten Szene gut.

So erfuhr die Internetgemeinde, dass Martin Sellner während der Aktion im Mittelmeer seinen Beziehungsstatus änderte. Sie war gespannt, wer seine Partnerin sein würde. Am heißesten wurden Lauren Southern und Brittany Pettibone gehandelt, die beide „Defend Europe“ unterstützen. Southern ist eine kanadische Aktivistin der jungen Alt-right-Szene. Pettibone das amerikanische Pendant. Sellner hat sich für die „white power Barbie“ Brittany Pettiboneentschieden.

Im vergangenen Herbst war Martin Sellner einige Wochen in den USA und bei Vorträgen der Alt-Right zu Gast – zahlreiche Fotos mit Brittany Pettibone zeugen davon. Die Vernetzung zwischen der Alt-Right und europäischen (neu-)rechten Aktivisten hat sich im vergangenen Jahr deutlich intensiviert, vor allem bei der jüngeren Generation.

In Deutschland profiliert sich ein ganz anderes Kaliber als Sellner: Mario Müller.

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Mario Müller ist ein ehemaliger Neonazi und Kopf der „Kontrakultur Halle“, einer regionalen Gruppe der „Identitären Bewegung Deutschland“. Müller stammt aus dem rechtsextremen Kameradschaftsumfeld. Vor seinem Umzug nach Sachsen-Anhalt war er in der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ aktiv. Nun lebt und agitiert er im Haus der Identitären Bewegung in Halle (Saale), ein Zentrum und Wohnprojekt nach dem Vorbild der italienischen Casa Pound, die in einem Haus in Rom am „Faschismus des dritten Jahrtausends“ arbeiten. Das Haus in Halle liegt in Campus-Nähe. Ziel ist es, bei Studenten für rechte Ideen zu werben.

Inzwischen scheinen mit Mario Müller und seiner Freundin Melanie Schmitz, Dorian Schubert, ebenfalls ein Ex-Neonazi, Florian Müller, Simon Kaupert und seiner Frau Wiebke Nahrath ein Großteil der Führungsriege der Kontrakultur Halle in dem Haus zu wohnen. Überall sind Kameras angebracht, es wird alles aufgezeichnet. Etliche Mitglieder sind wegen Gewaltdelikten einschlägig vorbestraft. Müller ist zweimal wegen politisch motivierter Körperverletzung verurteilt. 2010 griff er vier Jugendliche mit einem „selbstgebauten Totschläger“ an – einer 200 Gramm schweren Mutter einer Hantel, die er in eine Socke gesteckt hatte.

Im Juni hatte eine Gruppe „Identitärer“ in der Mensa der Martin-Luther-Universität in Halle zwei Personen bedrängt. Der Satz „Wenn ich dich nachts treffe, dann mache ich dich kalt“ soll gefallen sein. Die Polizei kam, fand Pfefferspray, ein Messer und Quarzhandschuhe. Im September der nächste Vorfall – in derselben Mensa. In der Mittagszeit war Melanie Schmitz unterwegs. Es kam zu einem Wortgefecht mit anderen Gästen. Ein paar Minuten später tauchte ihr Freund Mario Müller auf. Er trug Handschuhe, obwohl es noch gar nicht kalt war. „Der hatte so einen irren Gesichtsausdruck. Der Blick total entgleist”, sagte eine Augenzeugin zur taz : „Da haben wir direkt vermutet, dass es Quarzhandschuhe sind.“ Eine Bürgerinitiative beklagt: „Sie bedrohen, sie stehen provozierend da, sie überschreiten Grenzen, das ist einfach sehr unangenehm im Umgang.“

Außerdem ist im Haus das Abgeordnetenbüro des AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider untergebracht. „Ein Prozent für unser Land“ findet sich dort ebenfalls, ein Art rechte NGO, gegründet vom Verleger und Vordenker der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, und dem neurechten Compact-Verleger Jürgen Elsässer. Der hessische AfD-Politiker Andreas Lichert hat bestätigt, dass er als Bevollmächtigter an dem Hauskauf beteiligt war. Für die AfD Hessen kandidierte das Mitglied des Landesvorstands auf Listenplatz 10 um ein Bundestagsmandat. Lichert ist offizieller Ansprechpartner der Titurel-Stiftung. Der Gründer der Stiftung, Helmut Englmann aus Johannesberg in Unterfranken, hat das Haus mit 404 m² Grundstücksfläche für 330.000 Euro erworben.

Seit ihrer Gründung im Jahr 2007 fungiert die Stiftung vor allem als Förderinstrument des Institut für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda von Götz KubitschekAndreas Lichert ist auch Vorsitzender des IfS. Kubitschek, der regelmäßig seine Freunde Björn Höcke und André Poggenburg auf Schnellroda empfängt, formuliert ähnlich aufgeräumt und theoretisch fundiert wie Richard Spencer vom National Policy Institute. Kubitschek Ziel ist es, neben dem IfS und der Bibliothek des Konservatismus in Berlin einen weiteren Anlaufpunkt für die Neue Rechte zu schaffen. Laut Störungsmelder ähnelt das Haus einer Burschenschaft: Die Gruppe ist hierarchisch organisiert und schult sich im Kampfsport. Regelmäßig gehen sie zu Schulungen und Konferenzen vom IfS.

„Kontrakultur Halle“ ist eine der aktivsten Gruppe in Deutschland. Bei medial groß aufgegriffenen Protestaktionen, wie am Brandenburger Tor, im Gorki Theater oder am Bundesjustizministerium, waren immer auch Personen von KK ganz vorne mit dabei. In Halle verteilte sie schon Pfefferspray an Frauen, damit sich diese vor Flüchtlingen schützen könnten. Oliver Paulsen, Referent des Oberbürgermeisters: Nur, falls sie gegen bestimmte Auflagen verstoßen, könne die Stadt etwas gegen die Identitären tun. Das ist der Fall, wenn sie in dem Haus, das momentan nur als Wohn- und Bürohaus genutzt werden darf, ein Café einrichten.

Offiziell soll es eine Büroetage, ein Filmstudio, ein Veranstaltungssaal und einen Konferenzraum geben. Für Renovierung, Sicherheitsmaßnahmen und die laufenden Kosten wurde in den Medien um Spenden geworben. Zwischen August und Dezember gingen Bitcoins mit einem Wert von rund 20.000 Euro in das Wallet der deutschen „Identitären“. Dorian Schubert, sagte gegenüber Business Insider, dabei handle es sich überwiegend um Spenden. Inzwischen wurde das Spenden-Portfolio um die Kryptowährungen Litecoin (LTC) und Ripple (XRP) erweitert. Im Litecoin-Wallet befanden sich Anfang Januar LTC im Wert von rund 18.000 Euro, der Ripple-Wallet wies 5560 XRP (rund 9400 Euro) auf. Laut Schubert komme das Litecoin- und Ripple-Guthaben bislang nur durch Transfers von Bitcoin-Spenden auf die anderen Krypto-Wallets zustande.

Das Haus dient auch als Sitz der Werbeagentur Mosaik Kommunikation. Als Unternehmensdach fungiert die Lichert GmbH von AfD-Mann Andreas Lichert. Die Web-Domain der Agentur ist auf den Identitären Simon Kaupert registriert, der Quellcode der Seite weist auf die österreichische Agentur Kontrast Werbedesign bzw. Mosaik Werbedesign hin. Beide Domains sind auf Martin Sellner registriert. Im Jahr 2016 produzierten Kaupert und Sellner auch ein Video für die AfD Bitterfeld. Melanie Schmitz inszeniert sich als „identitarian girl“ á la Lauren Southern und Brittany Pettibone und dürfte die junge Außendarstellung von Kontrakultur, den „Identitären“ und der AfD prägen.

Mario Müller und Martin Sellner haben nach ihrem Ausflug auf dem Mittlemeer zwei Bücher beim Antaios-Verlag vorgelegt. Sellners Buch „Identitär!“ erzählt die „Geschichte eines Aufbruchs“. In Marios Müller Ergänzungsbuch „Kontrakultur“ zeigen junge Patrioten, welche Ideen, Mythen und Bilder, welche Musik, Gruppensymbolik und Bücher helfen, um standzuhalten. Widerstand soll auch Spaß machen! Die PR-Maschine der Rechten läuft – genauso wie die internationale Vernetzung:

Mitte Januar 2017 hielten sich u. a. Mario Müller, Melanie Schmitz und Dorian Schubert in Paris auf und nahmen dort an einer Demonstration der Génération Identitaire teil. Im Oktober wurde Claude Hermant, ein Mitglied der französischen “Identitären Bewegung” zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er Waffen u.a. an die muslimischen Terroristen des Anschlags Januar 2015 in Paris auf die Redaktion von Charlie Hebdo verkauft hatte – anonym über das Darknet, bezahlt mit Bitcoin. Elf Personen wurden getötet, mehrere Anwesende verletzt.

AUSBLICK

In den USA unterstützen Rechtsextreme mit Profiten von Bitcoin-Spenden und -Handel auch aus dem Darknet heraus Politiker wie Donald Trump. Statt mit ertragsreichem Finanzkapitalismus verdingen sich europäische Rechtsextreme in der Dienstleistungsbranche, um Politiker zu unterstützen. Mit dem Haus in Halle versucht Kontrakultur Strukturen aufzubauen, um gezielt rechte intellektuelle und wirtschaftliche Kader zu fördern, die in einem Rückzugsraum Vollzeitaktivismus‘ ermöglichen. Auch das Dienstleistungsgeschäft mit juristischer Beratung läuft. Und die Annäherung an die AfD:

Im Berliner Regierungsviertel residiert der AfD-Abgeordnete Harald Weyel in einem provisorischen Büro. Auf dem Schild neben der Bürotür sind drei Mitarbeiter vermerkt. Einer davon: Dr. Erik Lehnert. Seit 2008 ist er Geschäftsführer des „Instituts für Staatspolitik“ (IfS). Für Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, ist dieser Umstand eine Richtungsentscheidung: „Erik Lehnert ist einer der Chefstrategen des IfS.“ Der Think Tank knüpfe ganz bewusst an die faschistischen Vordenker der 1920iger und 30iger Jahre an. „Damit“, so Renner, „dürfte auch klar sein, wie sich die AfD im Bundestag verortet.“

Dafür spricht auch die Entscheidung der AfD, den wegen Antisemitismus-Vorwürfen umstrittenen Landtagsabgeordneten aus Baden-Württemberg, Wolfgang Gedeon, nicht aus der Partei auszuschließen. Auch Björn Höcke, den selbst ein AfD-internes Gutachten neonazistisches Denken nachweist, muss nicht mit seinem Ausschluss aus der AfD rechnen. Jens Maier kassierte vom Bundesvorstand der Partei lediglich eine Abmahnung wegen seines rassistischen Kommentars über Noah Becker.

In einem Interview mit der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” vom 01.02.2017 gab Mario Müller an, dass er darüber nachdenke, in die Politik zu wechseln, denn mit den Leuten von der AfD verstehe er sich gut. Genauso nah ist jedoch der Schritt Müllers in den Untergrund. Hatte sich die Rote Arme Fraktion nach ihrem Untertauchen noch mit Banküberfällen über Wasser gehalten, wartet das Darknet mit lukrativem Menschen- und Waffenhandel auf.

Quellen für die im Beitrag aufgestellten Behauptungen finden sich unter trolesememoiren.wordpress.com.

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